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KARMA

Kapitel 1

In dieser Geschichte geht es um einen Jungen namens Jonas. Jonas hatte seinen Vater verloren. Seine Mutter war oft krank und konnte daher nicht viel für ihn sorgen. Um die Einsamkeit ein bisschen zu vergessen, traf er jeden Nachmittag einen alten Herrn. Er war sehr freundlich zu Jonas, und jedes Mal, wenn sie sich trafen, konnte er Jonas etwas Neues erzählen. Jonas dachte, die Geschichten, die der Herr erzählen konnte, seien unendlich. Jedes Mal wurde er mehr und mehr überrascht.

Aber eines Nachmittags bekam er eine Geschichte zu Gehör, die alle anderen übertraf. In dieser Geschichte ging es um ein Land namens Karma. Es war ein magisches Land. Es gab viele tolle Wesen, die die Menschheit nicht kannte. Die kleinsten Dörfer bis zu den größten Gebirgen – alles war mysteriös und rätselhaft. Jonas hatte sich so in die Geschichte vernarrt, dass er schon fast das Gefühl hatte, sie sei Wirklichkeit. Seit diesem Nachmittag wollte er über nichts Anderes mehr hören, als Karma. Und dann, als er sich eines Abends schon beinahe verabschieden wollte, musste er fragen:
„Gibt es Karma wirklich?“. Der alte Herr grübelte eine Weile nach, dann sagte er: „Wenn du daran glaubst.“
„Ich glaube daran“, sprach der Junge fest entschlossen.
„Dann gibt es Karma wohl…“, antwortete er.


Ab diesem Abend hatte sich Jonas fest vorgenommen, einen Weg zu finden, selbst nach Karma zu gelangen.


Ein paar Tage darauf beobachtete Jonas auf seinem Nachhauseweg in einer Gasse ein Mädchen, das von zwei großen Jungs geärgert wurde. Jonas tat das Mädchen leid. Eine Weile zögerte er damit, einzuschreiten, da die Jungs viel größer waren als er. Schließlich überwand er jedoch seine Angst und stellte sich schützend vor das Mädchen.
„Hey Winzling, verschwinde!“, sagte einer der Jungs und hielt ihm die Faust hin.
„Lasst sie in Ruhe!“, schrie Jonas. Die beiden Jungs lachten ihn aus. Jonas flüsterte dem Mädchen zu:
„Renn schnell weg, ich lenke sie ab“. Das Mädchen rannte, so schnell es konnte. Nun war Jonas auf sich alleingestellt. Genau in diesem Moment tauchte ein Erwachsener in der Gasse auf. Die Jungs wollten Ärger vermeiden und rannten davon. Jonas fiel ein Stein vom Herzen und er ging nach Hause.


Zu Hause angekommen, bat Jonas‘ Mutter ihn darum, die Wäsche aus dem Keller zu holen. Unten im Keller bemerkte er einen Spiegel, der ihm zuvor nie aufgefallen war, weil dieser sonst mit einem Vorhang bedeckt war. Der Vorhang lag ausgebreitet daneben, als hätte ihn jemand dort hingelegt. Am oberen Rand des Spiegels entdeckte Jonas ein Wappen mit einem großen K in der Mitte. Er betastete vorsichtig das Wappen. In diesem Moment begann alles, sich zu drehen. Jonas wurde schwarz vor Augen und er fühlte sich schwerelos.
Er öffnete die Augen und befand sich inmitten einer Blumenwiese. In der Ferne sah er ein großes weißes Schloss. In diesem Moment reichte ihm jemand seine Hand. Jonas ergriff sie, und stand einem Zentauren gegenüber.
„Wer bist du?“, fragte der Zentaur mit einer tiefen Stimme.
„Ich heiße Jonas. Und wer, oder was, bist du?“
„Ich bin Cairo und das ist meine Wiese. Ich erwarte keine Gäste. Verschwinde!“
Doch Jonas blieb stehen. „Wo bin ich?“, fragte er.
„Auf meiner Wiese, du Jonas, das sagte ich doch. In Karma!“
Jonas erkannte, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Er war in Karma.


„Also, weg von meiner Wiese!“, sprach Cairo und gab Jonas einen kleinen Schubs.
„Und wo soll ich jetzt hingehen?“, fragte Jonas.
„Wenn du nicht weißt, wo du hingehen sollst, dann geh doch einfach zum König, dort, in das große weiße Schloss!“, antwortete der Zentaur.
Also machte der Junge sich auf den Weg. Kurz darauf stand Jonas vor dem großen Tor, bewacht von zwei Wächtern, die aussahen wie die Türme auf einem Schachbrett. Als sie Jonas erblickten, fingen sie an zu tuscheln. Daraufhin meinte einer der beiden:
„Bist du der Held, auf den unser Königreich nun schon so lange wartet?“
„Ja“, antwortete Jonas, schließlich wollte er zum König vorgelassen werden.


Nun stand er innen in einem großen Saal. Eine Frau mit einem grauen zerfetzten Kittel und einem Schleier auf dem Kopf führte ihn zum Thron. Jetzt stand er vor dem König und der König hatte ein steinernes Gesicht und Jonas merkte, dass er anfing zu zittern.
„Sei gegrüßt, Held“,
sprach der König mit einem weiterhin versteinerten Gesicht.
„Nun wirst du in deinen Schlafsaal geführt, schließlich ist es spät. Morgen früh werden wir dir sagen, was du zu tun hast. Wir hoffen, dass du uns retten wirst.“


Jonas wurde in den Schlafsaal geführt und innerhalb weniger Minuten schlief er ein.
Am nächsten Morgen weckte ihn dieselbe Frau, die ihn zum König geführt hatte. Sie gab ihm eine blaue Rüstung und einen Riemen mit einem Schwert darin und Jonas ging zum König.
„Guten Morgen“,sagte der Mann mit dem steinernen Gesicht. Jonas blieb still.
„Ich werde dich nun in das Geheimnis von Karma einweihen. Über Karma liegt ein Fluch: Alle 30 Jahre fegt der Wiederholungssturm über unser Land. Alles, was war, alles, was lebte, wird nach diesem Sturm nicht mehr existieren. Alles wird neu geboren. Doch wir werden nie unsere Kinder aufwachsen sehen und wir werden nie altern. Nach dem Sturm ist alles vorbei und fängt wieder neu an.  Nur unser Wissen wird weitergegeben. 29 Jahre haben wir bereits ohne den Sturm gelebt. In einem Monat wird der Sturm aber wieder aufziehen. Wir wussten, dass es eine Rettung für uns gibt, ein Menschenkind. Seit über 300 Jahren warten wir auf seine Ankunft. Nun bist du hier, Jonas.“ Jonas schluckte.
Eine große Last bedrückte ihn.


„Butler“,rief der König. Der Butler kam mit einem Glaskasten, in dem eine goldene Münze war. Die Münze trug ein „K“ in der Mitte, genauso wie das Wappen, dem Jonas gegenüberstand, als er in den Spiegel gesehen hatte.
„Tritt nun näher“, sprach der König.
Jetzt sah Jonas die goldene Münze aus der Nähe.
„Dies“, sagte der König, „ist eins der 10 Symbole von Karma und du sollst es auf deine Reise mitnehmen und die restlichen 9 finden.“ Der König rollte ein Pergament aus. Darauf waren 10 Symbole zu erkennen. Das erste war die Münze, die er jetzt vor sich sah. Das Zweite war ein blaues Buch, welches mit Gold umfasst war. Das Dritte war ein goldener Stab mit weißen Flügeln. Das Vierte war ein blaues Herz mit weißen Flügeln, das fünfte war ein Pokal mit einem sternförmigen Kristall in der Mitte und ebenfalls weißen Flügeln. Das Sechste war ein ebenfalls blauer Kristall mit noch schöneren Flügeln. Das Siebte war eine mit Rauten übersetzte Truhe mit Goldfassade. Das Achte war ein goldenes Schwert mit einem blauen Kristall über dem Griff. Das Neunte war eine goldene Krone, welche überall mit Diamanten verziert war. Das Zehnte und mit Abstand allerschönste war ein goldenes Wappen mit blauen Juwelen in der Mitte und den schönsten Flügeln aller Symbole.


Als Jonas sich alle Symbole genau angesehen hatte, nickte er.
„Diese Symbole musst du alle finden. Eins hast du schon.“
Der König öffnete den Glaskasten und nahm die goldene Münze in die Hand.
„Pass gut darauf auf“, sagte der König.
Jonas legte die Münze in seine Westentasche und verschloss diese fest.
„Ich möchte dir das Pergament mitgeben“, und er gab Jonas auch das Pergament.
„Nun suche diese Symbole. du wirst in Abenteuer geraten. Sie werden angsteinflößend, schwierig. Sie werden dich vielleicht auch verändern. Du musst aber immer an dein Ziel denken und es nicht aus dem Auge verlieren. Du musst dich beeilen und wenn du alle Symbole hast, legst du sie vorsichtig auf die Steinplatte in der Mitte von Karma. Wenn du Glück hast, wirst du Karma retten. Wenn du Pech hast, wird der Wiederholungssturm uns alle vernichten, auch dich.“
Diese Worte hatten Jonas große Angst eingejagt.
„Und wenn ich es schaffe, kann ich dann wieder nach Hause, in die Menschenwelt?“
„Nun, wenn du uns alle gerettet hast, werde ich dich nach Hause schicken.“
„Und wann soll ich mich auf den Weg machen?“
„Jetzt sofort“, sprach der König.

Kapitel 2

Jonas trat wieder hinaus in den Garten von Cairon. Er hätte Cairon gerne gedankt, aber er war nicht zu sehen. Daher ging er an den Rand der grünen schönen Wiese und trat in den Wald hinein.
„Karma ist sicher unendlich groß. Wie sollte ich jemals diese ganzen neuen Symbole finden und dann auch noch diese Steinplatte?“


Auf einmal hörte er Schritte näherkommen. Es waren viele Schritte. Er wollte sich verstecken. Vielleicht waren es auch Kreaturen, die ihm helfen könnten? Dann nahm er seinen Mut zusammen und sah auf dem Boden zwei Geschöpfe. Es war eine Mischung aus einem Fisch und einen Regenwurm. Sowas wie ein Aal. Nur etwas grösser. Vor Schreck trat Jonas zurück.
„Hilfe!“, sagte einer der beiden mit einer leisen, sanften Stimme. Beinahe taten ihm die Kreaturen Leid. Aber dann wurde er ehrgeizig und sagte:
„Ich werde euch erst helfen, wenn ihr mir helft!“
„Was brauchst du?“, fragten die Kreaturen. Eine Weile blieben sie reglos auf dem Boden.
„Als Erstes will ich wissen, wer ihr seid“, sagte Jonas.
„Wir sind die Manhons, die weisesten Kreaturen von ganz Karma.“ Das bereitete Jonas große Freude.
„Nun denn, wisst Ihr auch etwas über die 10 Symbole von Karma?“
„Sicher, alles was du wissen willst.“ und kam ein Stückchen näher.
„Wisst ihr, wo ich das zweite Symbol von Karma finde?“ „Ja“, antwortete die andere.
„Wo, sagt es mir! Ich werde euer Land retten, wenn ihr mir nur sagt wo.“
„Wir wissen, wer du bist. Du wurdest auserwählt. Wir können Karma nicht retten, du wurdest dafür ausgesucht.“
„Aber so werde ich die Symbole nie finden!“
„Nun denn, ein kleiner Tipp würde dir nicht schaden“, sprach einer der beiden Kreaturen und beide schlossen wieder die Augen.
„Wenn es so ist. Dort in Karma - wir beschreiben dir nun den Ort - herrscht Kälte und es ist frostig. Sobald du hineintrittst, wirst Du erfrieren. In der Gegend ist nicht zu spaßen. Es gibt nur einen Bewohner“, sagten sie wie aus einem Munde.
„Diese Gegend liegt am weiten Rande Karmas. Du hast also einen weiten Weg vor dir und es werden Hindernisse kommen. Unsere Weisheit stimmt, lasse dich nicht von irgendjemanden beirren. Und nun nach all der Weisheit musst du uns helfen, um wieder in die Gewässer des Lebens zu kommen.“
„Dankeschön, vielen Dank!“, sprach Jonas, „Wo sind die Gewässer des Lebens, wo finde ich diese?“
„Gleich dort drüben", sagte eine der Kreaturen und deutete mit einer ihrer Flossen auf einen silbernen See. Die beiden Manhons, die zuvor geschwächt waren, gingen nun schneller als Jonas und standen nach kurzer Zeit vor den Gewässern des Lebens. Und ohne eine Sekunde zu zögern sprangen die beiden rein. Einen Augenblick später flogen zwei delphinartige Wesen hoch aus dem Wasser.
„Keine Angst“,sprach einer der Manhons und fuhr fort:„wir sind es immer noch“. Es waren die zwei, die sich verwandelt hatten.
„Wir bringen dich ans andere Ufer, dorthin, wo du das zweite Karma-Symbol findest. Spring auf meinen Rücken! Du darfst das Wasser aber nicht berühren. Halte dich fest!“, und Jonas sprang auf. Bereits nach kurzer Zeit kamen sie auf der anderen Seite des Gewässers an.
„Nun finde das zweite Symbol, das Buch von Karma!“
Jonas befand sich nun in einer Art Dschungel und Wüste, denn der Boden war mit Sand bedeckt. Er dachte daran, sich von den vielen Kreaturen in Acht zu nehmen, um sich nicht von ihnen beeinflussen zu lassen. So wie die Manhons es gesagt hatten. Auch durfte er keine Energie verlieren, schließlich hatte er einen langen Weg vor sich. Er merkte, dass es immer kälter wurde, was für ihn das Zeichen war, dass er in die richtige Richtung ging. Aus dem Morgen wurde Abend und Jonas brauchte einen Unterschlupf für die Nacht. Die letzten Sonnenstrahlen fielen gerade auf einen Spalt zwischen zwei riesigen Felsblöcken. Er zwängte sich hindurch und fand eine kleine Höhle. Nun hatte er zwar einen Unterschlupf, aber bei der Kälte war an Schlaf nicht zu denken. Verzweifelt nahm er die Münze aus seiner Westentasche und dachte darüber nach, ob er das Richtige tat. Auf einmal fing die Münze an zu leuchten. Erschrocken ließ Jonas die Münze fallen. Sie leuchtete nun immer heller und Jonas merkte, dass ihm nun warm wurde. Kurz darauf fiel er in tiefen Schlaf.


Am nächsten Morgen brach er früh auf. Die Münze legte er nun zurück in seine Tasche, sie leuchtete noch immer. Das war auch nötig, denn die Kälte wurde immer beißender. Auf einmal sah er nur noch Weiß. Anderthalb Tage war Jonas nun gewandert, war er kurz vor seinem Ziel? Er holte die Münze aus seiner Tasche, um seine Hände daran zu wärmen, als er merkte, dass sie in eine bestimmte Richtung leuchtete. Jonas folgte dem Strahl, doch nach kürzester Zeit trugen ihn seine Beine nicht mehr, er konnte sie vor lauter Kälte nicht mal mehr fühlen. Doch er wusste, wenn er stehen bliebe, würde er erfrieren. Mit allerletzter Kraft schleppte sich Jonas in die Richtung des Lichtstrahls. Plötzlich rief eine tiefe laute Stimme:
„Stopp! Komm nicht näher!“ Jonas sah eine riesige weiße Fellkreatur, wie einen Eisbären, jedoch mit einem Kopf eines Greifvogels vor einem Eisiglu stehen. Jonas realisierte sofort, dass es sich hierbei um den Bewohner handeln müsste, von dem ihm die Manhons erzählt haben. Jonas blieb jedoch ruhig und fragte das Tier: „Weißt du etwas von dem zweiten Symbol Karmas, dem Buch von Karma?“
„Bist du das Menschenkind, das uns alle retten soll?“
„Ja“, antwortete Jonas,
„zumindest glaubt das euer König.“
Die Kreatur winkte Jonas hinein in sein Iglu. Dort, inmitten vieler Eiskristalle, sah Jonas das Buch, das aussah wie auf dem Pergament. Er rollte das Pergament aus, um sicherzugehen, dass es sich um das Buch von Karma handelte. In Wahrheit war das Buch noch viel schöner, das Blau leuchtete wie das strahlende Meer in der Sonne und das Gold war so fein und edel, als wäre es von einer anderen Welt. Plötzlich merkte Jonas, dass seine Beine nachgaben und er fiel um. Das fellige Tier kniete sich nieder und nahm Jonas in seine Arme.
„Ruh dich aus, Menschenkind, du hast noch eine lange Reise vor dir.“
Stunden waren vergangen, als Jonas endlich aufwachte. Das Tier sprach:
„Du kannst das Buch von Karma mitnehmen, aber du musst mir etwas versprechen: Mein alter Freund, der in der Mitte von Karma, nahe der Steinplatte, lebt, hegt noch immer einen Groll gegen mich. Wegen einem alten, unsinnigem Streit. Nach jedem Wiederholungssturm erinnert er sich daran. Es wird Zeit, das Kriegsbeil zu begraben. Ich möchte mich bei ihm entschuldigen und du musst diese Entschuldigung ihm überbringen. Ich vermisse ihn, und möchte dass wir wieder zusammen hier leben. Machst du das, Menschenkind?“
Jonas war von dieser Geschichte gerührt und antwortete:
„Sobald ich alle Symbole habe und an der Steinplatte angekommen bin, werde ich deinem Freund die Entschuldigung ausrichten und ihn bitten, zu dir zurück zu kommen."


Daraufhin übergab das Felltier Jonas das Buch und etwas Proviant.
„Nun aber los, finde das dritte Symbol. Einen Hinweis kann ich dir geben. Finde die große Stadt mit den kleinen Lebewesen. Die Symbole werden dich leiten.“ Und damit verabschiedeten sie sich voneinander.

Kapitel 3 folgt bald...

Ana Treil, Dezember 2021
Fortsetzung folgt.